Demenz mittendrin –
Auftaktveranstaltung im MGH, Haßfurt

Lokale Allianzen für Menschen mit DemenzHaß­fur­ter Tag­blatt – 08.12.2012 – Chris­tia­ne Reuther

Helga Rohra

De­men­te sind Bür­ger, ge­hö­ren dazu, ha­ben Rech­te, ge­hen uns alle an und brau­chen un­se­re Fan­ta­sie“, so Hel­ga Rohra in ih­rem Schluss­wort. Als De­menz­be­trof­fe­ne hat sie im Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­haus in Haß­furt aus ih­rem Buch Aus dem Schat­ten tre­ten. War­um ich mich für un­se­re Rech­te als De­menz­be­trof­fe­ne ein­set­ze“, vor­ge­le­sen. (Foto: Chris­tia­ne Reuther)

HASS­FURT. De­menz war und ist mein Le­ben und ich kann im­mer noch la­chen“, äu­ßer­te sich Hel­ga Rohra. Auf Ein­la­dung des Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­hau­ses Haß­furt hat sie als De­menz­be­trof­fe­ne im Rah­men der Auf­takt­ver­an­stal­tung De­menz mit­ten­drin“ aus ih­rem Buch Aus dem Schat­ten tre­ten. War­um ich mich für un­se­re Rech­te als De­menz­be­trof­fe­ne ein­set­ze“, vor­ge­le­sen.

Mit 53 Jah­ren hat Hel­ga Rohra die Dia­gno­se ge­stellt be­kom­men: Lewy-Body-De­menz. Als Mensch wie je­der an­de­re hat sie plötz­lich ge­merkt, dass et­was nicht mit ihr stimmt.

Die Ge­schich­te nimmt vor­weg, was vie­len be­vor­steht: Früh­dia­gno­se ohne Ur­sa­chen­be­hand­lung aber auch wie man mit der Er­kran­kung ver­ant­wort­lich lebt, ohne nai­ven Glau­ben an ein Wun­der­mit­tel. Fer­ner weist die Au­torin als un­wahr­schein­lich wil­lens­star­ke Per­sön­lich­keit dar­auf hin, wel­che Hür­den Men­schen mit De­menz in der Ge­sell­schaft über­win­den müssen.

Heu­te reist Hel­ga Rohra un­er­müd­lich zu Kon­gres­sen und Pres­se­ter­mi­nen, um in der brei­ten Öf­fent­lich­keit die Sa­che der Men­schen mit De­menz zu ver­tre­ten. Sie sieht sich als Bot­schaf­te­rin und Sprach­rohr der Chan­cen und Stär­ken, um For­de­run­gen be­trof­fe­ner Men­schen wei­ter zu brin­gen. Vor ei­ni­gen Ta­gen hat sie im Eu­ro­pa­par­la­ment in Brüs­sel ihre Stim­me er­ho­ben, um sich für Be­trof­fe­ne in jun­gen Jah­ren stark zu ma­chen. Rohra weist auf eine neue Art der De­menz hin: 280 000 Be­trof­fe­ne in Deutsch­land sind zwi­schen 27 und 50 Jah­re alt und stel­len die Ge­sell­schaft vor eine neue Her­aus­for­de­rung. Teil­ha­ben“ steht bei ihr an ers­ter Stel­le, das heißt In­te­gra­ti­on so­wohl im Be­rufs­le­ben als auch in der Ge­sell­schaft. Sie nimmt Angst vor der Er­kran­kung und in­for­miert über ver­schie­de­ne Ge­sich­ter der Demenz.

Die 59-jäh­ri­ge ist seit sechs Jah­ren er­krankt und lebt in Mün­chen. Mit ih­rem Hund Ted­dy war sie ge­kom­men, chauf­fiert von ei­ner gu­ten Freun­din. Vor der Er­kran­kung hat Hel­ga Rohra ein ganz nor­ma­les Le­ben ge­führt als al­lein er­zie­hen­de Mut­ter und Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin in fünf Spra­chen mit Schwer­punkt Neu­ro­lo­gie. Man könn­te es fast als Wink des Schick­sals be­zeich­nen: ihre Sach­ge­bie­te la­gen bei Mul­ti­ple Skle­ro­se, Schlag­an­fall, Par­kin­son und De­menz. Sah sie frü­her ih­ren Auf­trag im Dol­met­schen, sieht sie sich heu­te in der Pflicht, die Kon­tak­te der De­men­ten zu bewältigen.

Helga Rohra, Auftaktveranstaltung "Demenz mittendrin"

Hel­ga Rohra ist sehr ak­tiv und setzt sich in der Öf­fent­lich­keit für Be­trof­fe­ne ein. Sie reist un­er­müd­lich zu Kon­gres­sen und Pres­se­ter­mi­nen und freu­te sich über die Ein­la­dung aus Haß­furt. (Foto: Chris­tia­ne Reuther)

An­ge­fan­gen hat bei ihr die Krank­heit mit Aus­fäl­len in der Spra­che und bei Rou­ti­ne­ar­bei­ten so­wie mit Schwie­rig­kei­ten in der Ori­en­tie­rung. Der Lap­top war be­fremd­lich und die Spra­chen, von  Fran­zö­sisch, Ita­lie­nisch über Spa­nisch, Nie­der­län­disch und Fin­nisch wa­ren ein­fach weg. Ge­blie­ben ist noch Eng­lisch und die Mut­ter­spra­che. Ein ganz gra­vie­ren­des Er­leb­nis wa­ren op­ti­sche Hal­lu­zi­na­tio­nen mit  Sze­nen aus der Ju­gend, die in schnel­ler Ab­fol­ge er­schie­nen sind. In ei­nem Aus­fall­ta­ge­buch hat sie sich selbst kon­trol­liert und alle Aus­fäl­le dokumentiert.

Ein 24-Stun­den-Pflas­ter, ein An­ti­de­pres­si­vum für Be­gleit­sym­pto­me und die Ho­möo­pa­thie be­glei­ten Hel­ga Rohra in den Sta­di­en der Er­kran­kung. Sie ist sehr ak­tiv, ar­bei­tet mit ei­nem ei­ser­nen Wil­len für ihr Ge­dächt­nis und die Spra­che, be­treibt Sport und be­sucht Selbst­hil­fe­grup­pen. Ihre Er­näh­rung hat sie kon­se­quent um­ge­stellt. Wo fin­det sie für all das Kraft? Der Glau­be ist es“, nicht nur be­ten, son­dern auch ge­win­nen und im Jetzt le­ben“ ohne jeg­li­chen Druck sind für Rohra ganz wich­tig. Prio­ri­tä­ten setzt sie in ihre ei­ge­ne See­le. Wich­tig sei auch, sein ei­ge­nes Le­ben in die Hän­de zu neh­men und sich nicht auf Me­di­ka­men­te und An­ge­hö­ri­ge zu verlassen.

De­men­te sind Bür­ger, sie ge­hö­ren dazu, ha­ben Rech­te, ge­hen uns alle an und brau­chen un­se­re Fan­ta­sie“, so das Schluss­wort von Hel­ga Rohra.

Land­rat Ru­dolf Hand­wer­ker war dem BRK dank­bar, dass er die­ses au­ßer­or­dent­lich wich­ti­ge The­ma auf­ge­nom­men habe. Er wür­de De­menz selbst in der ei­ge­nen Fa­mi­lie er­le­ben, die re­la­tiv spät er­kannt wur­de. Von deutsch­land­weit 1,3 Mio. Be­trof­fe­nen sprach BRK-Kreis­ge­schäfts­füh­rer Die­ter Gre­ger, die sich bis zum Jahr 2050 ver­dop­peln wür­den. Die Al­li­anz für Men­schen mit De­menz“, ge­grün­det von der Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Kris­ti­na Schrö­der und Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Da­ni­el Bahr ha­ben sich in ei­ner ge­mein­sa­men Er­klä­rung vor­ge­nom­men, bis Ende 2013 kon­kre­te Maß­nah­men in ver­schie­de­nen Hand­lungs­fel­dern zu be­schlie­ßen, um die ge­sell­schaft­li­che Teil­ha­be Be­trof­fe­ner zu ver­bes­sern und Er­krank­te so­wie ihre Fa­mi­li­en ziel­ge­rich­te­ter zu un­ter­stüt­zen. Es sol­len im Rah­men des Pro­gramms re­gio­na­le Hil­fe- und Un­ter­stüt­zungs­netz­wer­ke als er­folg­rei­che Mo­dell­pro­jek­te und In­itia­ti­ven im Be­reich zur Un­ter­stüt­zung Be­trof­fe­ner und ih­rer pfle­gen­der An­ge­hö­ri­gen ent­ste­hen. Seit Sep­tem­ber wur­den bun­des­weit 26 Stand­or­te aus­ge­lobt, dar­un­ter auch das Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­haus in Haß­furt. Bis zum Jahr 2016 sol­len es 500 die­ser lo­ka­len Al­li­an­zen ge­ben, wie Gre­ger sagte.

Er zeig­te sich stolz und ver­stand die Aus­wahl des Hau­ses in Haß­furt als per­sön­li­che Aus­zeich­nung. Das Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­haus hät­te eine An­ge­bots­struk­tur ge­schaf­fen, die auf den Be­darf und das In­ter­es­se von Jung und Alt ab­ge­stimmt sei. Gre­ger for­der­te die Gäs­te auf, dazu bei­zu­tra­gen, dass der Land­kreis ein de­menz­freund­li­cher Land­kreis“ wird. Ein Kom­pli­ment aus der Zu­hö­rer­schaft, aber auch aus der Rei­he der Ge­sund­heits­be­ru­fe so­wie aus der Po­li­tik, die nur spär­lich ver­tre­ten war, sprach Kreis­rä­tin Rita Stäb­lein. Sie be­zeich­ne­te Hel­ga Rohra als star­ke Frau, die das The­ma De­menz mit viel Herz­blut her­über­ge­bracht habe, denn es sei wich­tig für die Ge­sell­schaft, sich auf eine neue Kul­tur des Zu­sam­men­le­bens zu besinnen.

v.l.: Helga Rohra, Dorith Böhm-Näder und Gudrun Greger

Gud­run Gre­ger und Do­rith Böhm-Nä­der (von rechts) vom Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­haus be­dank­ten sich für die ein­drucks­vol­le Vor­trags­wei­se. (Foto: Chris­tia­ne Reuther)

Die Lewy-Kör­per-De­menz oder Lewy-Kör­per­chen-De­menz ist nach dem Mor­bus Alz­hei­mer die zweit­häu­figs­te neu­ro­de­ge­nera­ti­ve De­menz im Al­ter und kann so­wohl als ei­gen­stän­di­ge Er­kran­kung auf­tre­ten als auch se­kun­där, im Rah­men ei­ner be­reits be­stehen­den Par­kin­son-Krank­heit. Die Lewy-Kör­per-De­menz macht bis zu zir­ka 20 % al­ler De­menz­for­men aus. Be­nannt ist die Er­kran­kung nach Fried­rich H. Lewy (1885–1950), ei­nem deut­schen Neurologen.

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