Demenz betrifft die ganze Familie. Eine Pädagogin des BRK bringt Kindern an der Grundschule Ebern das Thema spielerisch nahe.
Haßfurter Tagblatt / Fränkischer Tag — 21.04.2017 – Michael Will
EBERN. Opa war noch letztes Jahr schlau wie ein Fuchs. Doch seit ein paar Monaten bekommt er so gut wie nichts mehr auf die Reihe, ist sehr vergesslich geworden. Neulich hat sein acht Jahre alter Enkel beobachtet, dass Opa seinen Schlafanzug angezogen hat, als er in den Garten gegangen ist. Und gestern hat er die Fernbedienung des Fernsehers in den Kühlschrank gelegt. Was ist nur los mit Opa? Er leidet an Alzheimer, einer Krankheit, die das Gedächtnis zerstört.
Für Kinder ist es schwer zu verstehen, was mit Opa oder Oma passiert, wenn sie an dieser Krankheit leiden, wieso sie sich verändern und warum sie nicht mehr wie früher sind. Das Team des Mehrgenerationenhauses Haßfurt, unter Trägerschaft des BRK-Kreisverbandes Haßberge, setzt hier mit dem Pilotprojekt „Alzheimer & You“ an. Spielerisch wird Mädchen und Jungen dabei vermittelt, was hinter der Erkrankung steckt.
Dieser Tage hat Lisa Geyer von der Fachstelle für pflegende Angehörige Station in der Grundschule Ebern gemacht und die Kinder der Ganztagsklasse 2c unter Leitung von Klassenlehrerin Birgit Finzel an das Thema herangeführt. „Alzheimer & You möchte das Thema Demenz in die Schulen holen, um es dort zu bearbeiten“, sagt Geyer. Die Schüler lernen dabei Handlungskompetenzen in Bezug auf Kommunikation und den Umgang mit den erkrankten Menschen. „Sie werden aufgefordert, über das Älterwerden und über alte Menschen mit und ohne Demenz im alltäglichen Umfeld nachzudenken“, beschreibt die Pädagogin das Ziel.
Frühzeitige Aufklärung über Demenzerkrankung
Es ist gar nicht so einfach, so eine schwierige Krankheit und deren Folgen kindgerecht zu vermitteln. Deshalb werden die Kinder auch nicht mit medizinischen Fakten konfrontiert, sondern sollen sich dem Thema spielerisch nähern. Und das gelingt am besten mithilfe einer Geschichte: „Vom Fuchs, der den Verstand verlor.“ Lisa Geyer liest sie vor und hat in den 22 Kindern aufmerksame Zuhörer.
Als der Fuchs jung ist, kann er sich alles gut merken, ist aufgeweckt, spielt mit seinen Kameraden und hat viel Spaß am Leben. Viele Jahre später ist er alt. Mit dem Alter kommt bei ihm das Vergessen. Die Parabel beschreibt in schülergemäßer Form die Entwicklung der Krankheit Demenz. Sie wird in Abschnitten vorgelesen und erzählt, wobei parallel zur Erarbeitung des Krankheitsbildes Bilder gezeigt werden, die den Fuchs in unterschiedlichen Entwicklungsphasen seines Lebens zeigen. Das Bildmaterial wird dabei chronologisch an der Tafel befestigt und zeigt in verkürzter Form den Beginn und den Verlauf der Demenzkrankheit.
Die Mädchen und Jungen, unter ihnen auch vier Flüchtlingskinder und zwei ungarische Schüler, machen gut mit, als Lisa Geyer anfangs kurz auf das Mehrgenerationenhaus des BRK eingeht und erklärt, dass hier junge und alte Menschen gemeinsam im Alltag zusammenfinden. Was Kinder gut können? Die Schüler wissen Bescheid: „Kinder können gut rennen“, sagt ein Bub. „Sie können sich Dinge gut merken und sie können Skateboard fahren“, ruft ein anderer. Und was können alte Menschen gut, will die Pädagogin wissen? Auch hier hat die Klasse Beispiele: „Die können stricken und langsam laufen.“ Das Mehrgenerationenhaus sei dafür da, erklärt Geyer, dass sich junge und alte Menschen begegnen und jeder vom anderen lernt.Vom anderen zu lernen und füreinander da zu sein, ist auch im Umgang mit Demenzkranken wichtig. Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter, und das Alter stellt nach Worten von Lisa Geyer das größte Risiko dar, an einer der verschiedenen Demenzformen, wie zum Beispiel der am häufigsten vorkommenden Alzheimer-Krankheit, zu erkranken. Wegen der Gedächtnisstörungen und der abnehmenden Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen, führen Demenzerkrankungen in ihrem Verlauf zu umfangreicher Hilfe- und Betreuungsbedürftigkeit. „Nach wie vor wird der größte Anteil der Erkrankten zu Hause von Familienangehörigen versorgt“, verdeutlicht die Expertin von der Fachstelle für pflegende Angehörige. Zu den Familienangehörigen zählen neben Ehepartnern, Kinder und Schwiegerkinder auch die Enkelkinder. Deshalb betrifft Demenz nicht nur den Erkrankten selbst, sondern eben die ganze Familie.
Deshalb ist es wichtig, Kinder möglichst frühzeitig über eine Demenzerkrankung in der Familie aufzuklären. Lisa Geyer weiß: „Ob und wie Kinder und Jugendliche lernen, mit den auftretenden Veränderungen umzugehen, hängt entscheidend davon ab, inwieweit sie Unterstützung und Information darüber erhalten.“ Sie müssten Wissen erwerben und lernen, warum sich beispielsweise der Opa so verhält, und sie würden Anleitung benötigten, wie sie am besten mit ihm umgehen können.
Mit dem Alter kommt die Vergesslichkeit
Was Alzheimer bedeutet lässt Lisa Geyer in der Geschichte sichtbar werden. Der junge Fuchs ist ganz normal, das Waldtier spielt mit seinen Artgenossen, sie haben Spaß, er kann jagen und ein ganz normales Fuchsleben führen. Mit dem Alter aber kommt das Vergessen – ganz unbemerkt. Eines Tages hat der Fuchs vergessen, dass er ein Fuchs ist. Er vergisst Wörter, weiß nicht mehr wie man jagt und findet den Weg nach Hause nicht mehr. Und er will statt sonntags am Mittwoch in die Waldkirche. Er wird zum Fuchs ohne Verstand. Aber, macht die Sozialpädagogin beim Vorlesen deutlich: Der Fuchs ist dennoch nicht alleine. Seine Familie und die jungen Füchse im Wald nehmen ihn so an wie er ist und helfen ihm.
Das lässt sich auf den Alltag in Familien übertragen, in denen ein Alzheimer-Patient lebt. Er ist auf die Hilfe der Familie angewiesen, auf Geduld und Fürsorge. Besonders wichtig: Auch Menschen mit Alzheimer haben Gefühle und spüren Nähe, Zuwendung und Geborgenheit.
Von den Grundschülern der Ganztagsklasse hat bislang niemand in der eigenen Familie Erfahrungen mit Menschen gemacht, die an Alzheimer leiden, wie Klassenleiterin Birgit Finzel sagt. Sie hatte die Schüler im Vorfeld des Projektes mit dem Thema vertraut gemacht.Am Ende der Geschichte dürfen die Kinder dann selbst eine Fuchs malen, egal ob jung oder alt. Unterstützung erhalten sie dabei von der ehemaligen Kunstlehrerin Gisela Röder aus Ebern, die sich ehrenamtlich beim BRK engagiert.
„Lernen durch Engagement“ (LdE)
Das Projekt ist Teil des vom Kultusministerium im LehrplanPlus enthaltenen Konzeptes zum „Lernen durch Engagement“ (LdE). Das Mehrgenerationenhaus des BRK ist LdE-Kompetenzzentrum und praktiziert das schon seit einigen Jahren. „Lernen durch Engagement“ ist nach Worten von Lisa Geyer eine Lehr- und Lernform, die gesellschaftliches Engagement von Schülern mit fachlichem Lernen verbindet und für alle Schulformen und Altersstufen geeignet ist. „Es können ganz unterschiedliche Themen beim Engagement bearbeitet werden. LdE kann individuell an die Bedingungen der Schule angepasst werden.“
Nun beteiligt sich auch die Grundschule in Ebern an dem LdE-Projekt. Gerne können sich auch andere Schulen im BRK-Mehrgenerationenhaus melden, wenn sie Interesse haben, das Projekt „Lernen durch Engagement“ umzusetzen.
Als Ansprechpartnerin steht Sozialpädagogin Lisa Geyer unter Tel. 09521/952825–14 oder per E‑Mail zur Verfügung.
Im weiteren Verlauf des ganz besonderen Unterrichtsprojektes wird es in der Klasse 2c eine Nachbereitung zum Thema Demenz geben. Mit dem neu erworbenen Wissen besuchen die Schüler dann das Mehrgenerationenhaus oder ein Altenheim, um das Gelernte praktisch umzusetzen. Genau das ist das Ziel, verdeutlich Lisa Geyer: „Schüler lernen den Umgang mit Senioren, bauen eventuell Berührungsängste ab und setzen das gelernte Wissen um.“